Geheimnisvolle Struktur im Eis: Entdecker Christian Müller schätzt den Durchmesser auf etwa zwei Kilometer. Das Objekt, das dort eingeschlagen sein könnte, muss aber weit kleiner gewesen sein - nach Ansicht der Forscher vielleicht in der Größe eines kleineren Hauses.
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Deutsche Forscher haben eine ungewöhnliche, zwei Kilometer große Struktur im Eis der Antarktis entdeckt. Es könnte sich um einen Hunderte Tonnen schweren Meteoriten handeln.
Wenn die Technik mal wieder zickt, muss man das Beste daraus machen. Wieder und wieder hatte es Probleme mit dem Radar im deutschen Forschungsflugzeug "Polar 6" gegeben. Also bauten die Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) das Messgerät vor Weihnachten kurzerhand aus. Sie entschieden sich außerdem, ihre Routen in der Ost-Antarktis zu ändern. Von der belgischen Forschungsstation aus sollte ihre umgebaute DC-3-Propellermaschine nun direkt nach Norden fliegen.
Die Expedition, an der auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) beteiligt ist, dreht sich eigentlich um die Frage, wie einst der Urkontinent Gondwana entstand und wieder zerbrach. Und während der Reparatur des Radars am Boden sollte die Propellermaschine eine Region erkunden, in der das ausgefallene Gerät ohnehin nutzlos gewesen wäre.
Normalerweise lassen sich damit Echos vom felsigen Untergrund aufspüren. Aber unter dem König-Baudouin-Eisschelf liegt das Wasser des Südozeans, hier hätte Radar nichts gebracht. Also sollten die beiden anderen Messgeräte an Bord nach Änderungen im Schwere- und Magnetfeld der Erde fahnden - und damit nach Hinweisen auf interessante Strukturen im Untergrund.
Die geänderte Route erwies sich als Glücksfall, doch nicht etwa weil die Messgeräte anschlugen. Stattdessen entdeckte der Geophysiker Christian Müller bei einem Blick aus dem Flugzeugfenster etwas im Schelfeis, das ihn und seine Kollegen sofort elektrisierte: Eine große, ringförmige Bruchstelle deutet darauf hin, dass dort ein größerer Meteorit niedergegangen ist. Müller schätzt die Größe der Struktur im Eis auf etwa zwei Kilometer.
"Niemand in unserem Team ist Experte für Impakt-Prozesse", sagt der britische Geophysiker Graeme Eagles. Er ist Leiter der Expedition - und bemüht sich in einer Mail an SPIEGEL ONLINE bewusst um vorsichtige Formulierungen. Bisher wisse man sehr wenig über kosmische Einschläge auf schwimmenden Eisflächen.
Die gefundene Struktur erinnere an andere Einschlagkrater auf der Erde. "Wir wissen aber auch, dass das allein nicht als Beweis für einen Impakt ausreicht", so Bell. Womöglich gebe es andere Prozesse, die für den Fund auf dem Schelfeis verantwortlich sein könnten. Andererseits habe seine Mannschaft bisher keine Ahnung, wie solche Prozesse aussehen könnten. "Wir sind in einer sehr frühen Phase der Arbeit an diesem Ding."
Atomtest-Messstationen registrierten Signal
Ein riesiger Brocken aus dem All im ewigen Eis - das klingt wie die Idee eines Thriller-Autoren. Doch so abgefahren ist die Sache nicht. In der Antarktis sind bisher mehr als 38.000 Meteoriten gefunden worden. Doch selten sind diese mehr als 100 Gramm schwer. Eine Ausnahme bilden Funde wie der 18 Kilogramm schwere Bolide, den Wissenschaftler im Februar 2013 nahe der belgischen Prinzessin-Elisabeth-Station entdeckten. Das ist übrigens nicht weit von der Stelle entfernt, an der die aktuellen Beobachtungen gelangen.
Ob tatsächlich ein großer Meteorit hinter den Strukturen steckt, die Christian Müller aus der "Polar 6" entdeckt hat, müssen die Forscher noch beweisen. Aber einiges könnte darauf hindeuten: Im Dezember 2007 hatten Forscher des Los Alamos National Laboratory und der University of Western Ontario einen Artikel im Fachmagazin "Earth Moon Planet" veröffentlicht. Darin berichten sie unter anderem von einem Ereignis, das sich drei Jahre zuvor zugetragen haben soll. Mit Hilfe von Messstationen des Atomwaffensperrvertrags hatten sie am 3. September 2004 die Infraschallsignale eines zur Erde stürzenden Meteoriten aufgefangen.
Dieser müsste, wenn die Berechnungen der Wissenschaftler stimmen, in der Gegend aufgeschlagen sein, in der die AWI-Forscher nun ihre Entdeckung gemacht haben. Außerdem hatte ein Teil der Autoren des Artikels schon im Herbst 2005 Belege für den Absturz eines Meteoriten dort präsentiert. Im "Australian Antarctic Magazine" berichteten sie von Lasermessungen der australischen Davis-Forschungsstation. Diese schienen auf eine Staubfahne zu deuten, die der Brocken aus dem All vor dem Einschlag in der Atmosphäre hinterlassen hat.
Auf Basis dieser Beobachtungen schätzten die Forscher das Gewicht des Meteoriten auf 600 bis 1900 Tonnen, die Größe auf sieben bis zehn Meter. Nur einmal pro Jahrzehnt würde ein Objekt dieser Größe auf der Erde aufschlagen. Stimmen die Vermutungen der Wissenschaftler von damals, wäre der kosmische Geisterfahrer mit einer Geschwindigkeit von 13 Kilometern pro Sekunde auf das Eis gekracht.
Einen kleinen Haken an der Theorie vom angeblichen Einschlag 2004 gibt es jedoch, sagt Graeme Eagles nun. "Wir haben Belege auf älteren Satellitenaufnahmen gesehen, die gegen diese Hypothese sprechen." Das heißt: Die jetzt gefundene Struktur war womöglich schon vorher da.
Andererseits: Die Forscher haben inzwischen bei einem zweiten Flug das Eis am vermeintlichen Einschlagsort noch einmal vermessen - und dabei Beobachtungen gemacht, die durchaus für einen Einschlag sprechen. "Die Auswertung der Eisdickenradar-Daten legt nahe, dass das mehrere Hundert Meter dicke Eis an der Einschlagstelle vollständig durchbrochen wurde", berichtet der Wissenschaftler Tobias Binder, der ebenfalls zum Team gehört.
Weil sie eine wissenschaftliche Veröffentlichung vorbereiten, wollen sich die Wissenschaftler nicht allzu sehr in die Karten schauen lassen. Die gesammelten Daten müssten erst einmal am AWI in Bremerhaven aufbereitet werden, sagen sie. Für eine Untersuchung des möglichen Einschlagsorts am Boden sei die aktuelle Expedition nicht ausgerüstet. Das müsse wohl später erledigt werden.
Stattdessen sammle man jetzt weiter Daten zum Schicksal des Urkontinents Gondwana, das ursprüngliche Ziel der Reise.
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Struktur in Nahaufnahme (oben im Original, unten: mit erhöhtem Kontrast): Die Forscher um Graeme Eagles haben inzwischen bei einem zweiten Forschungsflug das Eis am vermeintlichen Einschlagsort noch einmal vermessen. Zunächst aus zwei Kilometern Höhe, dann noch einmal aus 450 Metern. Weil sie eine wissenschaftliche Veröffentlichung vorbereiten, wollen sie sich nicht allzu sehr in die Karten schauen lassen.