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Als vor rund 50.000 Jahren der Meteorit Canyon Diablo in der Wüste von Arizona / USA aufschlug, hinterließ er einen riesigen Krater, der heute nicht nur eine Touristenattraktion darstellt, sondern auch für die Materialforschung von großem Interesse ist. Seit nahezu 50 Jahren wird allgemein angenommen, dass Teile des Meteoritengesteins durch den schockartigen Aufprall in ein extrem hartes Mineral umgewandelt worden seien, das auf der Erde nur sehr selten vorkommt. Dieses Mineral bestehe aus Kohlenstoff und besitze eine ungewöhnliche hexagonale Kristallstruktur. Zu Ehren der irischen Kristallografin Kathleen Lonsdale erhielt es den Namen Lonsdaleit.
Ein internationales Forschungsteam, an dem Prof. Dr. Natalia Dubrovinskaia und Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky von der Universität Bayreuth maßgeblich mitgearbeitet haben, hat sich jetzt erneut mit dem Gestein des Meteoriten Canyon Diablo befasst. Die im Forschungsmagazin „Nature Communications“ veröffentlichten Ergebnisse stellen infrage, was bisher als selbstverständlich galt: nämlich dass das Mineral namens „Lonsdaleit“ aufgrund seiner speziellen Kristallstruktur mit keinem anderen bekannten Mineral identisch sei und daher den Status eines eigenständigen, distinkten Materials habe. Doch im Licht der neuen Erkenntnisse spricht viel für die Annahme, dass es sich bei Lonsdaleit in Wirklichkeit um Diamant mit einer verzerrten Struktur handelt.
Im Bayerischen Geoinstitut, einem Forschungszentrum der Universität Bayreuth, wurden
bei hohen Drücken und Temperaturen derartige mikrokristalline Diamanten erzeugt. Sie besitzen auffällige Eigenschaften, wie beispielsweise eine extreme Härte und eine außerordentliche Wärmeleitfähigkeit. Dies sind Eigenschaften, die in der bisherigen Forschung dem Mineral namens „Lonsdaleit“ zugeschrieben wurden. Dabei lassen Untersuchungen mit dem Rastertransmissionselektronenmikroskop (RTEM) die in mehrfacher Hinsicht gestörte kubische Kristallstruktur klar erkennen. Bei vergleichenden Untersuchungen an Gesteinsproben, die aus dem Meteoriten Canyon Diablo stammen, stellte sich nun heraus, dass hier die Annahme einer hexagonalen Kristallstruktur keineswegs zwingend ist. Zwar hatte man bislang aufgrund ungewöhnlicher Beugungsmuster auf eine derartige Struktur geschlossen. Doch die Beugungsphänomene lassen sich auch anders erklären – nämlich mit erheblichen Störungen innerhalb einer kubischen Kristallstruktur. In der Kristallforschung werden diese Defekte als Kristallstapelfehler und multiple Kristallzwillinge bezeichnet.
Die neue Studie legt daher die Schlussfolgerung nahe, dass es sich bei „Lonsdaleit“ um Diamant mit einer derartigen defekten Struktur handelt. „Dieses Fazit drängt sich auch im Rückblick auf die bisherige Forschungsgeschichte auf“, erklärt Prof. Dubrovinskaia. „In den vergangenen 50 Jahren sind alle Versuche gescheitert, das Mineral Lonsdaleit aus Meteoriten- oder Kratergestein zu isolieren oder es als separates Material mit hexagonaler Struktur im Labor zu synthetisieren“, erklärt Prof. Dubrovinskaia. Die Bayreuther Wissenschaftlerin verweist in diesem Zusammenhang auf ein weiteres Forschungsergebnis: Die durch hohe Drücke und Temperaturen bewirkte Umwandlung von Graphit zu Diamant lässt sich wissenschaftlich beschreiben, ohne dass man dabei ein Zwischenprodukt mit hexagonalen Kristallstrukturen annehmen müsste.
Die Suche nach einem von allen bekannten Mineralien distinkten Material namens „Lonsdaleit“ war vor allem durch die ungewöhnlichen Eigenschaften motiviert, die man sich von diesem Material versprochen hat. Es schien ein Mineral mit interessanten technologischen Anwendungspotenzialen zu sein. Handelt es sich also um einen Verlust für die Materialforschung, wenn es stimmt, dass die Suche prinzipiell zum Scheitern verurteilt ist? Die in „Nature Communications“ veröffentlichten Ergebnisse bieten keinen Anlass zur Resignation. Denn die Experimente im Bayreuther Hochdrucklabor, die zur „Enttarnung“ des Lonsdaleit geführt haben, zeigen: Hochleistungsfähige Technologien ermöglichen die Synthese von polykristallinen und nanokristallinen Diamanten, deren Eigenschaften im Hinblick auf industrielle Anwendungspotenziale mindestens ebenso attraktiv sind wie die Eigenschaften, die man bislang einem vermeintlich distinkten Mineral namens „Lonsdaleit“ zugeschrieben hat.
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Quelle: Chemie.de
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