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Astronomie - Meteoriten Krater: Der Pingualuk-See in Kanada

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Der Pingualuk-See liegt inmitten einer Tundra-Landschaft. Sein Wasser ist besonders rein und bei Sonnenschein besonders blau. Der Krater wird nur von Schnee und Regen gefüllt.

(Foto: Heiko Wittenborn)

 

Ein Meteorit hat im Norden Kanadas ein ebenmäßiges Kraterloch geschlagen, das sich mit besonders klarem Wasser gefüllt hat. Lange wussten nur Inuit von dessen Existenz.

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Die Twin Otter fliegt dröhnend über die Tundralandschaft. Unten Seen, Sumpf und Felsplateaus. "Achtung, jetzt gleich!", ruft Maali Tukirqi der Gruppe zu, die sie in den Pingualuit-Nationalpark im arktischen Norden Kanadas begleitet. Sekunden später erscheint der See, rund wie ein Vollmond, ein fast perfekter Kreis um tiefblaues Wasser, das im Sonnenlicht schimmert.

Die Passagiere sind euphorisch. Wegen dieses Kratersees haben sie die Trekkingreise nach Nunavik gebucht, wie das Territorium der Inuit in der Provinz Quebec offiziell heißt. Der Krater war nach dem Aufprall eines Meteoriten vor 1,3Millionen Jahren entstanden. Lange wussten nur herumziehende Inuit-Jäger von seiner Existenz. Er birgt einen der saubersten und klarsten Seen der Welt.

Pingualuk nennen ihn die Inuit, Pickel oder Beule. Seine Flanken sind von Steinbrocken übersät, die bei der Explosion des Meteoriten viele Kilometer weit geschleudert wurden. Die damals freigesetzte Energie soll 8500 Mal stärker gewesen sein als die der Atombombe, die über Hiroshima abgeworfen wurde.

Maali Tukirqi führt ihre fünfköpfige Gruppe den Hang hinauf. Die Wanderer müssen auf den spitzen Kanten der Steinbrocken über Spalten balancieren. Sie rollen die Gesichtsnetze, die sie vor den Mückenschwärmen schützen, immer wieder zurück, um die Lücken besser zu sehen. Jamie Yaaka dagegen, ein 14-jähriger Inuit-Junge, der zum Wanderführer ausgebildet wird, lässt sich von den Stechmücken nicht aus der Ruhe bringen. Sein noch junger Vater ist vor einem Jahr bei der Jagd umgekommen. Jamie Yaaka rät den Touristen immer wieder, die Füße mit Bedacht aufzusetzen, um auf diesem Trümmerfeld nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

 

Vor einigen Tagen ist Mary Pilurtuut, die Direktorin der Parkverwaltung, beim Krater auf den vom Regen noch feuchten Steinen ausgerutscht. Sie spüre die Prellung immer noch, hat sie am Morgen in ihrem Büro erzählt. Sie arbeitet im 120 Kilometer entfernten Kangiqsujuaq, wo alle Häuser wegen des Permafrosts auf Stelzen stehen. Ihre Vorfahren, die wie sie an der Küste lebten, hätten erst im 19. Jahrhundert Kunde vom wundersamen Kratersee erhalten, erzählt sie. Die Menschen im Landesinnern dagegen kannten den Pingualuk-See schon seit Menschengedenken, weil sie in der Gegend Karibus jagten. "Der Mann, der uns davon erzählt hat", berichtet Mary Pilurtuut, "hieß Makiggaq und war ein Freund meines Urgroßvaters."

Noch viel länger dauerte es, bis die Welt außerhalb Nunaviks vom Pingualuk-See hörte: Erst als amerikanische und kanadische Militärpiloten den Kratersee während und nach dem Zweiten Weltkrieg fotografierten, tauchten nach und nach Bilder auf. Wissenschaftler begannen sich dafür zu interessieren, erforschten den See und machten ihn dadurch weiteren Kreisen bekannt. Aber immer noch finden nur wenige Touristen ihren Weg nach Camp Manarsulik, eine Reise, die vier Stunden Flugzeit von Montreal über Kuujjuaq und Kangiqsujuaq erfordert.

 

Im Pingualuit-Park ist derweil die Sonne hinter Wolken verschwunden. Maali Tukirqi findet die Richtung dank der Inuksuks - Steinmännchen, die als Wegweiser dienen. Blicken die Wanderer zurück, sehen sie eine endlose Steinwüste. Über eine Stunde ist vergangen, seit die Gruppe die Unterkünfte hinter sich gelassen hat. Das Terrain ist jetzt flacher, man geht über Geröll mit kurzen harten Gräsern dazwischen. Plötzlich taucht unten eine blaue Scheibe aus Wasser auf. Genau in diesem Moment kommt die Sonne wieder hinter den Wolken hervor. Es passiert so unvermittelt, dass alle erst einmal sprachlos sind. 267 Meter tief ist der See; er ist einer der tiefsten Seen Nordamerikas. Sein Durchmesser beträgt nur 3,4 Kilometer, aber er wirkt endlos - das Auge folgt immer wieder diesem perfekten Kreis. An Tagen, an denen es windet und die Sonne scheint, nimmt der See ein besonders intensives Blau an.

Im kleinen Museum in Kangiqsujuaq wird die Bedeutung erklärt, die der See für die Inuit hat: "Nunavingmi Pikkuminartuq - ein besonderer Ort in Nunavik, der unsere Herzen berührt und unsere Seelen nährt." Die Ureinwohner sehen es als Privileg an, sein Wasser trinken zu dürfen, denn ein so reines Wasser gibt es in kaum einem anderen See der Welt. Der Krater wird nur von Schnee und Regen gefüllt, da es keine Zu- und Abflüsse gibt. Experten schätzen, dass es rund 330Jahre dauert, bis sich das Wasser des Sees vollständig erneuert hat. Es ist so klar, dass man bis zu 35 Meter in die Tiefe sehen kann.

Maali Tukirqi weist auf eine deutliche Erhebung auf der linken Seite des Kraters hin. Der Meteorit sei von rechts auf die Erdoberfläche geschossen, erklärt sie. In wissenschaftlichen Berichten ist zu lesen, dass er mit einem Tempo von 90 000Kilometer pro Stunde auf die Erde zugerast ist und dass sein Durchmesser zwischen 110 und 130 Meter betragen hat.

Es geht dem Abend zu und die Wanderer steigen zum Camp Manarsulik ab. Am kommenden Tag zeigt ihnen der 42-jährige Inuitführer Charlie Alaku archäologische Stätten, an denen früher die nomadischen Inuit, die die Gegend seit 4000 Jahren durchwandern, ihre Zelte im Sommer aufstellten. Dabei erwähnt Alaku die Fische im Pingualuk-See. Die hier lebenden Arktischen Saiblinge hätten große Köpfe und relativ kleine Körper, sie leben ja in einer nährstoffarmen Umgebung. Für die Inuit war es lange ein Rätsel, wie die Fische ohne Zu- und Abflüsse in den See kamen. Experten nehmen an, dass ein Ozean die Gegend nach der letzten Eiszeit bedeckte, bevor er sich zurückzog.

Charlie Alaku ist ein moderner Inuk, Vater von vier Kindern, der in Kangiqsujuaq lebt, mit Leidenschaft Golf spielt, sich aber mit der Tradition seiner Vorfahren stark verbunden fühlt. Er trekkt mit den Besuchern stundenlang über die Tundra. Er zeigt ihnen eine essbare wilde Pflanze, Qungilik, die wichtiges Protein enthält. Er brät mit ihnen Bannock, den althergebrachten Brotfladen. Er zeigt ihnen, wie man eine Öllampe, Qulliq, aus Speckstein mit Hilfe von getrocknetem Moos am Brennen hält, wie einst in den Iglus, in denen die Menschen in dieser Gegend noch bis zu den Fünfzigerjahren lebten. Er führt zusammen mit Jamie Yaaka traditionelle Spiele der Inuit vor, mit denen Geschicklichkeit und Kraft gefördert wird. Er gibt den Gästen rohes Walfett, Mattak, zum Probieren. Und er erzählt viele Geschichten und Mythen seiner Vorfahren. Zum Beispiel die Legende von den streitsüchtigen Schamanen: "Es gab gute und schlechte Schamanen und manchmal stritten sie miteinander." Die Inuit wollten aber nicht, dass es Streit auf Erden gibt. So schickten sie die Schamanen auf den Mond. Dort kämpften sie so heftig weiter, dass sie die Oberfläche aufwühlten. "Deshalb gibt es Krater auf dem Mond", schließt Charlie.

Um den eigenen Krater rankt sich keine Legende. Dafür gibt es seit 2004 den 1134 Quadratkilometer großen Nationalpark, um den Pingualuk-See zu schützen. Fischen, tauchen oder ihn mit Booten befahren ist verboten. Die drei von den Inuit verwalteten Naturparks in Nunavik bringen Arbeit und Einkommen. In Kangiqsujuaq steht ein neues Hotel, das den achthundert Dorfbewohnern gehört. Sie versuchen ein Gleichgewicht zwischen Tourismus und den eigenen Bedürfnissen zu finden. Der Pingualuit-Nationalpark, der auch im Winter geöffnet ist, wird häufig von jungen und alten Inuit besucht, die eine Verbindung mit den Jagdgründen ihrer Ahnen suchen. Und die in der Natur die Wunden heilen wollen, die der allzu rasche Übergang vom Nomadentum zur technisierten Welt schlug.

Im Camp Manarsulik wartet Brigitte Coutu, eine Frau aus der Gruppe, auf besseres Wetter. Ursprünglich wollte sie den Krater in acht Stunden zu Fuß umrunden. Jetzt würde sie sich damit zufrieden geben, Wasser aus dem klaren See zu schöpfen und es nach Hause zu tragen. Doch Regengüsse vereiteln einen weiteren Aufstieg. Am Tag vor dem Abflug hüllt sich der Krater in dicken Nebel. Als ob er nicht noch mehr von sich preisgegeben möchte.

Quelle: Süddeutsche Zeitung
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