Max-Planck-Wissenschaftler entdecken jungen und hochenergetischen Neutronenstern mit außergewöhnlich unruhiger Rotation
Pulsare sind kosmische Leuchttürme der Superlative. Die kompakten Neutronensterne drehen sich mehrmals pro Sekunde um die eigene Achse und senden dabei Radio- und Gammastrahlung ins All. Mithilfe raffinierter Datenanalyse haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI, Hannover) und des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in internationaler Kooperation nun einen ganz besonderen Gammapulsar aus den Daten des NASA-Weltraumobservatoriums Fermi gefischt: Das Objekt mit der Bezeichnung PSR J1838-0537 ist sehr jung und erfuhr während der Beobachtungszeit den bisher stärksten bei reinen Gammapulsaren beobachteten Ruck in seiner Drehbewegung.
Reine Gammapulsare lassen sich sehr schwer identifizieren, denn ihre Eigenschaften wie etwa die Rotationsperiode und deren zeitliche Änderung sind unbekannt. Und auch ihre exakte Position am Himmel können die Astronomen aus den ursprünglichen Fermi-Beobachtungen nur näherungsweise bestimmen. Sie müssen daher die Existenz eines Pulsarsignals bei einer Vielzahl von Kombinationen dieser Eigenschaften in einer rechenzeitaufwändigen Blindsuche überprüfen. Eine versteckte Periodizität in den Ankunftszeiten der Gammaphotonen lässt sich so nur mit großem Aufwand aufspüren.
Auch Hochleistungs-Rechnersysteme geraten dabei schnell an ihre Grenzen. Doch die Forscher nutzten ursprünglich zur Analyse von Gravitationswellendaten entwickelte Algorithmen, um die Fermi-Daten besonders effizient zu durchsuchen. „Mithilfe eines hierarchischen Algorithmus konnten wir diese Aufgabe auf dem Rechnercluster ATLAS am Albert-Einstein-Institut in Hannover bewältigen“, sagt Bruce Allen, Direktor am AEI. So verkündete Allens Team bereits im November 2011 die Entdeckung von neun neuen Fermi-Gammapulsaren, die allen vorherigen Suchen entgangen waren. Nun machten die Wissenschaftler mit derselben Methode einen weiteren außergewöhnlichen Fund.
Der Name des neu entdeckten Pulsars – J1838-0537 – ergibt sich aus seinen Himmelskoordinaten. „Der Pulsar ist mit einem Alter von 5000 Jahren sehr jung. Er dreht sich rund siebenmal pro Sekunde um die eigene Achse und befindet sich am Himmel in Richtung des Sternbilds Schild“, sagt Holger Pletsch, Wissenschaftler in Allens Gruppe und Erstautor der jetzt veröffentlichten Studie. „Nach der Entdeckung waren wir sehr überrascht, dass der Pulsar zuerst nur bis September 2009 sichtbar war. Danach schien er plötzlich zu verschwinden.“
Erst mit einer aufwändigen Folgeanalyse kam ein internationales Wissenschaftlerteam um Pletsch dem Geheimnis von Pulsar J1838-0537 auf die Spur: Er verschwand nicht, sondern erfuhr einen Ruck (englisch glitch), nach dem er sich plötzlich um 38 Millionstel Hertz schneller drehte als zuvor. „Diese Differenz mag verschwindend klein erscheinen, doch es ist der größte jemals bei einem reinen Gammapulsar gemessene Glitch“, erklärt Allen. Und dieses Verhalten hat Folgen.
„Bereits nach acht Stunden geht dadurch in unserer Zählung eine komplette Umdrehung des Pulsars verloren und wir können nicht mehr feststellen, zu welcher Rotationsphase die Gammaphotonen den Detektor an Bord von Fermi erreichten“, ergänzt Pletsch. Das Blinken des Neutronensterns werde auf diese Weise praktisch unsichtbar. Berücksichtigen die Forscher den Glitch und korrigieren die Rotationsänderung, taucht der Pulsar erneut in den Messdaten auf.
Die genaue Ursache der bei vielen jungen Pulsaren beobachteten Glitches ist bislang unbekannt. Astronomen ziehen Beben der Neutronensternkruste oder Wechselwirkungen des suprafluiden Sterninneren mit der Kruste als mögliche Erklärungen heran. „Eine große Zahl vor allem von starken Glitches bei Pulsaren zu erfassen, bietet eine Möglichkeit, mehr über den inneren Aufbau dieser kompakten Himmelskörper zu erfahren“, sagt Lucas Guillemot vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, der Zweitautor der Studie. “Das ist ein schönes Beispiel für die Zusammenarbeit zweier Max-Planck-Institute mit einander ergänzenden Forschungsschwerpunkten“, so Michael Kramer, Direktor am Bonner Institut und Leiter der Forschungsgruppe „Radioastronomische Fundamentalphysik“.
Nach der Entdeckung in den Daten des Fermi-Satelliten richteten die Forscher das Radioteleskop bei Green Bank im US-amerikanischen West Virginia auf die Himmelsposition des Gammapulsars. In einer fast zweistündigen Beobachtung sowie bei der Analyse einer weiteren einstündigen älteren Beobachtung der Quelle fanden sich keine Anzeichen von Pulsationen im Radiobereich: J1838-0537 ist demnach mit großer Wahrscheinlichkeit ein reiner Gammapulsar.
Auffällige Übereinstimmungen gab es hingegen mit Beobachtungen des High Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.) in Namibia, das nach hochenergetischer Gammastrahlung aus den Tiefen des Alls sucht. Astronomen fanden in einer Durchmusterung mit H.E.S.S. nahe dem nun entdeckten Pulsar eine ausgedehnte Quelle solcher Strahlung, konnten deren Natur aber bisher nicht klären.
Die Entdeckung des Pulsars legt nahe, dass es sich bei der H.E.S.S.-Quelle um einen Pulsarwind-Nebel handelt. Dieser wird von fast lichtschnellen Teilchen erzeugt, die der Pulsar in seinem extrem starken Magnetfeld beschleunigt. Da nun der genaue Ort des Pulsars bekannt ist, kann H.E.S.S. dies zukünftig berücksichtigen und eine höhere Messgenauigkeit als zuvor in dieser Himmelsregion erreichen.
Der ATLAS-Computercluster des Albert-Einstein-Instituts hat damit bereits bei der Entdeckung des zehnten zuvor unbekannten Gammapulsars geholfen, doch Allens Team hat inzwischen weitere Rechenkapazitäten mobilisiert. „Seit August 2011 läuft unsere Suche auch auf dem verteilten Rechenprojekt Einstein@Home, das eine vielfach höhere Rechenkraft als der ATLAS-Cluster hat. Wir sind sehr optimistisch, weitere außergewöhnliche Gammapulsare in den Fermi-Daten aufzuspüren“, sagt Bruce Allen. Ziel der erweiterten Suche ist unter anderem die Entdeckung des ersten reinen Gammapulsars mit einer Rotationsperiode im Millisekundenbereich.
Quelle: MPI
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