10.01.2019
Anfang 2018 flog im Harz ein junger Mann mit einer Badewanne zum Bäcker. Der Ausflug war als irrer Gag für ein Viral-Video gedacht. Doch die sehenswerte Show-Einlage könnte eines Tages sogar zur Normalität werden.
Nicht wenige Utopisten haben Zukunftsgesellschaften skizziert, bei denen das Fliegen so normal wie für uns heute das Autofahren ist. Bislang sind Kleinstflieger und Flugtaxis für Jedermann und Kurzstrecken allerdings Wunschdenken geblieben. Das könnte sich jedoch bald ändern, denn in Deutschland, USA oder China haben sich etliche Unternehmen und Start-ups mit Millioneninvestitionen in Stellung gebracht, um das Fliegen zu revolutionieren. Mit kleinen, smarten, elektrisch getriebenen Micro-Jets soll man bald über lästige Staus hinwegschwirren können. Und diese Möglichkeit soll nicht nur gut Betuchten vorbehalten bleiben, sondern allen Schichten zugänglich werden.
Vorbilder für die kleinen Fluggeräte, die weitgehend auf Verbrennungsmotoren oder Düsenantriebe verzichten, sind die bereits weitverbreiteten Spielzeug-Drohnen. Wie bei diesen kommen auch bei den größeren Verwandten in der Regel E-Rotoren in größerer Zahl zum Einsatz, die ihren Strom vor allem aus Lithium-Ionen-Batterien beziehen. Damit soll die vom E-Auto-Pionier Tesla verfeinerte Methode zur Bündelung von Lithium-Zellen künftig auch das Vordringen in die dritte Dimension ermöglichen.
Ein sehr vielversprechendes und praktisch bereits erprobtes Projekt ist der VC200 der deutschen Firma Volocopter. Dabei handelt es sich um ein rein elektrisch getriebenes Fluggerät mit einer Kanzel, die Platz für zwei Passagiere bietet. Die von 18 Rotoren angetriebene XXL-Drohne, die einem Hubschrauber ähnelt, verfügt über neun Batterien, die eine gut einstündige Flugzeit erlauben. Zudem wurde ein autonomes Kontrollsystem entwickelt. Als Einsatzgebiet für ein solches Lufttaxi sieht Volocopter vor allem Megastädte, in denen Passagiere auf kleinen Landeplätzen - etwa Hochhausdächern - einsteigen und sich zum Beispiel zum Flughafen shuttlen lassen. Das Emirat Dubai plant, solche Passagierdrohnen künftig als öffentliches Verkehrsmittel einzusetzen. Mit Volocopter haben die dortigen Behörden 2017 eine Partnerschaft vereinbart, die bereits praktische Test im Emirat umfasst.
Ebenfalls aus Deutschland, genauer gesagt aus Gilching bei München, kommt die Firma Lilium Aviation, die im Frühjahr 2017 mit dem Ultraleichtflieger Eagle einen Jungfernlug absolviert hat. Dabei handelt es sich um eine Carbon-Kapsel für zwei Passagiere, die von 36 elektrischen Jet-Motoren angetrieben wird, die sich auf 12 bewegliche Tragflächenelemente verteilen. Diese Technik erlaubt wie beim Volocopter Starts und Landungen in der Vertikalen. Hat das EVTOL-Jet (E steht für elektrisch, VTOL für Vertical Take-Off and Landing, sprich Senkrechterstarter) ausreichend Höhe erreicht, stellen die Triebwerke auf horizontalen Schub um. Der batterieelektrische und damit emissionsfreie Antrieb soll einen Radius von 300 Kilometern garantieren und das Flugzeug bis zu 300 km/h schnell machen. Der Energiebedarf soll auf dem Niveau eines Elektroautos liegen. Lilium will in den nächsten Jahren eine im Vergleich zum Eagle größere Serienversion entwickeln, die Platz für einen Piloten und vier Passagiere bieten soll. Der Flieger könnte dann als Lufttaxi eingesetzt werden und zum Beispiel einen Pendelverkehr von Flughafen München in die Münchener Innenstadt aufnehmen.
Ein interessantes wie kurioses Bimobil haben Italdesign, Audi und Airbus mit dem Pop.up Next entwickelt. Dabei handelt es sich um eine elektrisch getriebene Riesendrohne mit einer abnehmbaren Kabine, die sich alternativ mit einem Auto-E-Antrieb koppeln lässt. Im Auto-Modus kann man im Straßenverkehr bis zu 100 km/h schnell sowie bis zu 130 Kilometer weit fahren. Will man abheben, muss man das Luftmodul anfordern. Das Flug-Bündel kann mit vollem Akku bis zu 50 Kilometer weit fliegen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Vision, deren mögliche Serienbau-Pläne in einer noch ferneren Zukunft liegen sollen.
Wesentlich konkreter ist die US-Firma Kitty Hawk, die das „fliegende Motorrad“ Flyer bereits zur Serienreife entwickelt hat. Dabei handelt es sich um einen Ein-Personen-Octocopter, der allerdings nur über Gewässer und in geringer Flughöhe eingesetzt werden darf. Kitty Hawk ist übrigens ein Tochterunternehmen der von Larry Page (Google) mitbegründeten und finanzierten Firma Zee Aero, die nach neuen Mobilitätslösungen sucht. Im Frühjahr 2018 haben die Macher zusätzlich Pläne für ein Flugtaxi angekündigt. Cora heißt der Senkrechtstarter, der mit zwölf E-Motoren bis fast 180 km/h schnell und bis zu 100 Kilometer weit fliegen kann. Derzeit wird in Neuseeland getestet, wo Kitty Hawk bereits in den kommenden drei Jahren ein Lufttaxibetrieb etablieren will. In einem Interview mit dem britischen Guardian hat der deutsche Firmenboss Sebastian Thrun Flugpreise angekündigt, die unterhalb von denen klassischer Taxis liegen sollen.
Ebenfalls vergleichsweise günstiges Fliegen will die US-Firma Workhorse, die bereits den Elektro-Pick-up W-15 entwickelt hat, mit dem Zwei-Personen-Helicopter Surefly ermöglichen. Dabei handelt es sich wiederum um eine Riesendrohne, die von acht Elektromotoren bewegt wird. Neben einem Lithium-Ionen-Akku soll sie außerdem ein Benzinmotor als Generator mit Strom versorgen. Der Leichtbauflieger kann bis auf über 1.000 Meter aufsteigen und bis 112 km/h schnell fliegen. Den Preis des Surefly gibt Workhorse mit umgerechnet gut 170.000 Euro an. Sobald die amerikanische Flugbehörde die offizielle Freigabe erteilt, will man in den Markt starten.
Wiederum als autonomes Lufttaxi angedacht ist die Riesendrohne Ehang 184 aus China. Der ebenfalls rein elektrisch getriebene Octocopter soll bis zu 130 km/h schnell, 16 Kilometer weit und über 25 Minuten lang fliegen können. Der für zwei Personen und bis 220 Kilogramm Last ausgelegte Ehang hat Anfang 2018 einen bemannten Testflug absolviert. Nach Angaben der Chinesen soll das Fluggerät sicher sein und schon in naher Zukunft im öffentlichen Verkehr zum Einsatz kommen.
Ebenfalls schon zeitnah, nämlich 2020, will Airbus das autonome Miniflieger-Projekt Vahana zur Serienreife bringen. Wie bei Lilium setzt man hier auf Kippflügel-Technik, was Senkrechtstarts erlaubt. Ist die Flughöhe erreicht, richten sich die Tragflächen auf horizontalen Vortrieb aus. Der Prototyp Alpha One hat im Februar 2018 im Selbststeuerungsmodus einen Testflug absolviert. Künftig will man die kleinen Flieger ähnlich wie bei Kitty Hawk als Taxi einsetzen, das günstiger als klassische Autotaxis sein soll. Außerdem plant Airbus verschiedene Varianten unter anderem für Transportaufgaben oder Katastrophenhilfe.
Erst wenige Monate ist der unbemannte Flug eines EVTOL-Konzepts von Rolls-Royce her. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen Senkrechtstarter mit Kippflügeln. Im horizontalen Flugmodus soll dieser für vier bis fünf Passagiere ausgelegte Elektroflieger bis zu 400 km/h schnell werden. Auch die Reichweite ist mit 800 Kilometer beachtlich. Der Flieger verzichtet auf eine große Batterie, stattdessen produziert eine Gasturbine den Strom. Mit einem Serienstart lassen sich die Briten etwas Zeit: Vermutlich erst gegen 2025 will man soweit sein.
Einen ultraleichten Mini-Flieger hat schließlich das in Kanada gegründete und mittlerweile in Kalifornien beheimatete Unternehmen Opener mit dem Blackfly entwickelt und erfolgreich erprobt. Dabei handelt es sich um eine kleine Passagierkapsel, die vorne und hinten gleichgroße Tragflächen mit jeweils vier Elektromotoren aufweist. Das Fluggerät ist damit sehr wendig, allerdings auch langsam: Mehr als 100 km/h sind nicht möglich, während die Reichweite bei rund 40 Kilometer liegen soll. Blackfly will bereits mehr als 1.400 Flüge und rund 20.000 Testmeilen absolviert haben. Ein konkreter Zeitplan für eine mögliche Markteinführung wird noch nicht genannt. Derzeit arbeitet Opener daran, in den USA und Kanada Zulassungen der jeweiligen Flugbehörden zu erhalten.
Blackfly ebenso wie die meisten anderen Beispiele zeigen: Technisch sind die einstigen Science-Fiction-Visionen schon längst Realität, doch bis Riesendrohnen und Micro-Jets zum Massenphänomen werden, gilt es, noch einige Hürden zu überwinden.
Quelle: ELEKTRONIK PRAXIS