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Raumfahrt - Vorsicht, heiß: Wie reagiert die Struktur einer Rakete bei einem Hyperschall-Flug?

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DLR und RWTH Aachen University starten von Nordschweden gemeinsames Experiment
Bei einem Hyperschallflug nimmt die Oberfläche einer Rakete an der Außenseite eine extrem hohe Temperatur an. Doch wie genau verändert sich die Oberflächenstruktur bei unterschiedlichen Luftwiderständen und mit Blick auf Wärmefluss und Beschleunigung? Diese und ähnliche Fragen wollen Wissenschaftler und Ingenieure des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Studierende der RWTH Aachen University im Flugexperiment ROTEX-T (ROcket Technology EXperimenT) untersuchen.
ROTEX-T ist am 19. Juli 2016 um 6.05 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit erfolgreich vom Raketenstartplatz Esrange bei Kiruna in Nordschweden gestartet. Die Nutzlast hat eine Höhe von rund 182 Kilometer erreicht, ist nach einem Flug von rund sieben Minuten wieder am Boden angekommen und wurde mit einem Helikopter geborgen.
"Die 180 Kilogramm schwere wissenschaftliche Payload besteht aus mehr als 100 Sensoren und misst die aerothermalen Lasten und das Strukturverhalten während des gesamten Fluges. Temperatur-, Druck-, Wärmefluss- und Beschleunigungssensoren erfassen dabei die Flugparameter. Die Messung der Wärmebelastung in Abhängigkeit von Geschwindigkeit, Dichte und Turbulenzgrad der Strömung ist einer der Forschungsschwerpunkte dieses Flugexperimentes", schildert Dr. Ali Gülhan vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Köln.
Für das Hyperschallflugexperiment haben die Kölner DLR-Wissenschaftler der Abteilung Über- und Hyperschalltechnologien zusammen mit Ingenieuren der Mobilen Raketen Basis (MORABA) des DLR-Raumflugbetriebs in Oberpfaffenhofen eine zweistufige Rakete und die Nutzlast entwickelt und gebaut. Die beiden Raketenmotoren wurden von dem schwedischen Partner und Esrange-Betreiber SSC zur Verfügung gestellt. "Kernelement der Forschungsrakete ist das so genannte Servicemodul, das die Datenübertragung und Zeitsteuerung der wissenschaftlichen Experimente sicherstellt und alle nötigen Sensoren für Beschleunigungs-, Drehraten- und Positionsmessung enthält", erklärt Dr. Andreas Stamminger von der MORABA
Die Luft- und Raumfahrtstudierenden der RWTH Aachen University haben das Projekt bei Auslegung und Instrumentierung stark unterstützt und werden bei der Auswertung eine wichtige Rolle spielen. "Wir wollten damit erstmals demonstrieren, dass unsere Studenten zusammen mit dem DLR ein solches Projekt entwickeln und umsetzen können", sagt Dr. Andreas Henze vom Aerodynamischen Institut der RWTH Aachen University. Das DLR Raumfahrtmanagement in Bonn hat die Finanzierung der Beteiligung der Studierenden übernommen.
Die Zündung der ersten Raketenstufe beschleunigte das Gesamtsystem in fünf Sekunden auf 2,3-fache Schallgeschwindigkeit. Nach einer kurzen Gleitphase durch die dickeren Schichten der Erdatmosphäre wurde die zweite Stufe gezündet und ROTEX-T erreichte mehr als fünffache Schallgeschwindigkeit. Im Anschluss flog die wissenschaftliche Nutzlast antriebslos bis in eine Höhe von rund 182 Kilometern weiter, bevor der Rückflug und Wiedereintritt in die Erdatmosphäre begann. Für die Landung war kein Fallschirm vorgesehen. Stattdessen wurde die Nutzlast in einer Höhe von 15 Kilometern von der Raketenstufe getrennt und durch Taumelbewegungen abgebremst. Schließlich landete sie mit einer Geschwindigkeit von etwa 95 Metern pro Sekunde in einem unbewohnten Gebiet in Nordschweden.
"Mit einer neu entwickelten Methode konnten wir die Temperaturverteilung entlang der Motorgehäuse schnell und genau messen", sagt DLR-Wissenschaftler Ali Gülhan. Darüber hinaus konnten die Forscher mit Dehnungsmessstreifen und Temperatursensoren Deformation und Temperatur der Finnen simultan erfassen. "Damit können wir die Qualität künftiger Flugexperimente verbessern", so Gülhan weiter. Zusätzlich waren mehrere kompakte Videokameras im Einsatz, um den Flug zu dokumentieren. Auch die Fenster und Gehäuse dieser Kameras mussten sorgfältig konstruiert werden, um die heiße Umgebung des Hyperschallfluges zu überstehen.
Ein modulares Datensystem erfasst die Sensordaten mit unterschiedlichen Raten. So wurde für ROTEX-T ein weltweit einmaliges neues System mit einer Datenrate von 2000 Kilohertz entwickelt, um auch die Daten der ultraschnellen Drucksensoren zu erfassen. Die Speichereinheit dieses Systems wurde extra für die hohe Aufprallgeschwindigkeit der Nutzlast ausgelegt und hat die harte Landung "überlebt". Die Studierenden der RWTH Aachen University und die DLR-Wissenschaftler wollen anhand der Flugdaten ihre Analysewerkzeuge für die Aerodynamik, Thermalanalyse, Flugmechanik und Strukturdynamik validieren und verbessern. Der Vergleich zwischen den Flugdaten und experimentellen Ergebnissen der Bodenanlagen des DLR und der RWTH Aachen University ist ein weiteres Ziel des Experiments.
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Quelle; DLR
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